ZEN - BLOG

Dienstag, 22. September 2009

GRAUsam. FRAUlichT.

Dialog der Bilder

1.STIMME: Die Frau im Radio schreit. Sie bittet um Geld. Wir werfen es ihr zum Fenster hinaus und schenken ihr obendrein unseren Glauben, daß ihr Schrei uns Freude ist.

CHOR: ...oh wie so trügerisch sind Frauenherzen

Draußen. Nacht. Der Mond. Eine Frau kommt des Wegs.

PRASKOWJA zunächst flüsternd, allmählich lauter werdend: Die Angst der Leute wächst. Das Morgen könnte sie auf alle Arten blinder Wege führen. Satan lebt von dieser Angst. Viele befürchten Zeuge schrecklicher Katastrophen zu werden. Die Unsicherheit wächst. Jeder will der erste sein, der weiß, wie spät es schon ist. Die Horoskope schweigen beredt, doch die Quelle plätschert verborgen. Erinnere den Anfang.

Ein hochgewachsener älterer Mann kommt in einer grauen Mönchskutte daher. Praskowja hält im selben Moment inne, wie der Mann vor ihr zum Stehen kommt. Sie erkennt sein wallendes, langes weißes Haar, seinen Rauschebart, seine blitzenden blauen Augen und seine leicht gebogene Keilnase.

PRASKOWJA verärgert, erbost: Du Versager! Warum hast du uns das angetan?

SATAN ruhig und gelassen: Es gibt keine endgültige Antwort. Die Wahrheit ist in Wahrheit bloß die Suche nach ihr. Ich liebe dich.

PRASKOWJA: Ha, Liebe. Die Wahrheit ist, daß Kindheitsträume Spiegelbilder haben. Und du zerbrichst den Spiegel wie mein Herz.

SATAN: Du lügst. Du hältst das Leben für einen gigantischen Trip mit vielen bunten Smarties. Und du verhältst dich wie ein Opfer. Du zwingst dich selber einen Schritt zu weit zu gehen. Allerdings leugnest du deine Verantwortung und schiebst mir die Schuld in die Schuhe.

PRASKOWJA: Ich bin hartnäckig, denn ich bin arm. Deshalb klammere ich mich an meinen Traum. Er war das erste, das ich hatte, und er ist das letzte, was mir blieb. Gäbe ich diesen Traum her, wäre ich selbst nicht mehr. Wäre ein Nichts, verloren zwischen Gewissensbissen und Raubtieren.

SATAN: Was kann man dir schon rauben.

PRASKOWJA: Zuerst meine Unschuld, und später mein Leben. Du schickst meine Töchter in Bordelle und meine Söhne in den Krieg. Vergiftet ist unser Brot, das Wasser, die Luft. WARUM HAST DU UNS DAS ANGETAN? Letzter Satz geschrien.

SATAN: Würde ich verstanden, müßte ich weniger reden. Hat mich gefreut, dich wiederzusehen. Verschwindet während des Sprechens mit hallender Stimme, als löse er sich in Luft auf.

PRASKOWJA: MÖRDER, WO BIST DU HIN?

Ein Feldhase huscht an ihr vorüber. Der Mond ist weitergezogen. Der Tag bricht an, grau. Der Morgennebel macht Praskowja unsichtbar. Vogelgezwitscher. Stimmen aus dem OFF.

2. STIMME: Sollte uns das nicht zu denken geben?

1. STIMME: Ich glaube, nein.

ENDE

©1994 by Klaus-Dieter Knoll - ursprünglich veröffentlicht in "Bilder Sprache", Katalog zur gleichnamigen Ausstellung von Gaby Bendow, Jeanette Fink, Horst Merkle, Knollo, José F.A. Oliver und Rainer Wochele in Stuttgart und Berlin

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen